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China Miéville

Perdido Street Station

  • Autor:China Miéville
  • Titel: Perdido Street Station
  • Serie:
  • Genre:SF
  • Einband:Paperback
  • Verlag:Heyne Verlag
  • Datum:10 März 2014
  • Preis:16,99 EUR

 
»Perdido Street Station« von China Miéville


Besprochen von:
 
Detlef V.
Deine Wertung:
(4)

 
 
Eines Tages bekommt der Wissenschaftler Isaac Dan dar Grimnebulin Besuch von einem Garuder namens Yagharek. Die Garuder sind eine vogelähnliche Rasse, die sich schwerelos in den Weiten des Himmels zu Hause fühlt. Nicht aber Yagharek. Dieser wurde einst eines Verbrechens für schuldig befunden und musste als Strafe die Amputation seiner Flügel hinnehmen. Da er aber nicht mehr mit dieser Schande und dem daraus folgendem Leben klarkommt, beschließt er Isaac aufzusuchen um sich von ihm seine Flugfähigkeit wiederherstellen zu lassen. Isaac nimmt den Auftrag an und beschäftigt sich fortan nur noch mit der Thematik des Fliegens. Um seine Forschungen vorantreiben zu können, lässt er sich flugfähige Lebewesen zu Studienzwecken in sein Labor liefern.

Der Zufall will es, dass sich unter diesen Studienobjekten auch eine Raupe befindet. Was Isaac allerdings nicht weiß, ist, dass es sich bei dieser Raupe um ein gestohlenes Exemplar einer äußerst gefährlichen Art, der Gierfalter, handelt. Insgesamt fünf dieser Raupen wurden von der Regierung New Crobuzons zu Experimentierzwecken geordert, wovon nun ein Exemplar unrechtmäßig in die Hände Isaac gelangt ist. So kommt es wie es kommen muss. Die Raupe verpuppt sich und nach einiger Zeit schlüpft der (Gier)Falter – eine Art menschengroßes, flug- und äußerst widerstandsfähiges Insekt mit Klauen und Scheren. Die Flügel sind mit einer Musterung versehen, die andere Lebewesen hypnotisieren und sie so zu willenlosen Marionetten machen können, denen der Falter dann ihre Träume und ihre Seele aus den Körpern saugt. Zurück bleibt nur ein zwar lebender, aber unbeseelter Körper.

Nachdem der neugeborene Gierfalter die Witterung seiner vier verbliebenen Artgenossen, von der Regierung mittlerweile an den Gangster Vielgestalt verkauft, aufgenommen hat, befreit er diese aus ihrer Gefangenschaft. Nun zu fünft, bricht das Unheil über New Crobuzon herein. Da niemand den Gierfaltern etwas entgegenzusetzen hat, greift die Regierung zu dem letzten Mittel das ihr noch geblieben ist. Sie kontaktiert den Weber, eine riesengroße und schwer einzuschätzende Spinne, ausgestattet mit übernatürlichen Fähigkeiten und in der Lage zwischen den Dimensionen zu wechseln. Aber auch der Weber kommt schnell an seine Grenzen im Kampf mit den Gierfaltern. So wie es ausschaut, ist nur noch Isaac und seine Krisismaschine in der Lage die Gefahr für die Stadt abzuwenden.

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Als eine Geschichte mit zwei Gesichtern, so möchte ich mal das vorliegende Buch Perdido Street Station (OT: Perdido Street Station) von China Mieville bezeichnen. Wer sich mühsam durch den ersten Teil des Buches (bei Heyne einst als Der Falter veröffentlicht) durchgekämpft hat, wird mit einem wesentlich fulminanteren und spannenderen zweiten Teil (bei Heyne als Der Weber veröffentlicht) belohnt. Aber bis zum zweiten Teil ist es leider ein langer, und allzu oft auch recht öder Weg, gespickt mit endlosen Beschreibungen der Stadt New Crobuzon auf der nicht näher beschriebenen Welt namens Bas-Lag.

So ist es daher nicht verwunderlich, dass der eigentliche Hauptcharakter der Geschichte auch kein lebendes Wesen ist, sondern vielmehr die Stadt selbst. Eine Stadt, die von ihrer Bedeutung für das Buch her, höchstens noch mit Ankh-Morpork, aus den Werken von Terry Pratchett, vergleichbar ist. New Crobuzon ist ein düsterer Ort, ein Vielvölkergemisch, wuchernd wie ein Krebsgeschwür und voller Verbrechen und sozialer Ungerechtigkeit. Kontrolliert wird er von der Miliz, einer Polizeieinheit, die von einer korrupten Regierung ins Leben gerufen wurde und die nicht gerade zimperlich mit den Bewohnern der Stadt umgeht.

Mieville nimmt sich viel Zeit um dem Leser New Crobuzon vorzustellen. In seiner überaus schillernden und manchmal schon fast poetisch anmutenden Sprache, gönnt er gefühlt jedem Stadtteil, jedem Gebäude und jeder Rasse eine eigene Geschichte. Das füllt die Stadt mit Leben, verleiht ihr eine ungeahnte Tiefe und einen ganz eigenen Charakter und Atmosphäre. Als Preis dafür liest es sich jedoch leider machmal recht langatmig, denn New Crobuzon hat viele, um nicht sogar zu sagen unendlich viele, Auffälligkeiten die Mieville beschreiben kann (was er dann auch ununterbrochen macht).

Oftmals verzettelt sich der Autor dabei und das ganze geht zu Lasten der Handlung, welche nicht wirklich voranschreitet. Mievilles Schreibe ist dabei etwas gewöhnungsbedürftig und vermutlich nicht jedermanns Sache. Dennoch zeigt Mieville auch in, oder besser trotz, dieser eher behäbigen Passagen, was für ein ungemein guter Erzähler er ist, der mit seiner Sprache und seiner Erzählweise wirklich zu überzeugen vermag. Denn auch wenn es nur schrittweise vorangeht, wird es nie wirklich uninteressant oder gar langweilig.

Neben der Stadt New Crobuzon, stellt Mieville dem Leser auch seinen zweiten Hauptcharakter Isaac Dan dar Grimnebulin ausführlich vor. Isaac ist ein übergewichtiger, bärtiger und liebenswerter Wissenschaftler, der sich mit der Thematik der Krisis-Energie beschäftigt und der mit der Kephri Lin liiert ist. Lin ist eine Künstlerin und besitzt einen menschlichen Körper, der allerdings von einem insektoiden Kopf, der wie eine Art Käfer aussieht, gekrönt ist. Zur selben Zeit als Yagharek Isaac um Hilfe bittet, nimmt Lin einen Auftrag des Gangsters Vielgestalt an. Ein Umstand, der sich als verhängnisvoll herausstellen wird. Vermeintlich scheinen beide Ereignisse Anfangs so gar nichts miteinander zu schaffen haben, werden jedoch im weiteren Verlauf der Geschichte von Mieville zu einer gemeinsamen und aufeinander aufbauenden Handlung verbunden.

Auch wenn die Geschichte Anfangs einen Durchhänger hat, nimmt sie dafür jedoch im weiteren Verlauf immer mehr an Fahrt auf. Spätestens dann wenn der Weber, eine Riesenspinne mit einem Faible für Scheren, in das Geschehen eingreift, gibt es den ersten wirklichen Höhepunkt. Danach wird die Handlung durchgehend spannender, unheimlicher und auch erheblich actionreicher. Hierbei entfaltet Mieville seine überbordende Phantasie und zaubert einige wirklich skurrile Gestalten ans Tageslicht. Handlinger und Sinistral, ein Dämon der als Botschafter der Hölle in New Crobuzon fungiert, eine auf einer Müllhalde „lebende“ Maschinenintelligenz, die von einigen Bewohnern New Crobuzons als Gottheit verehrt wird, sind nur einige davon. Der Kampf gegen die Gierfalter tritt immer mehr in den Vordergrund. Das liest sich gut und fängt mit der Zeit wirklich an Spaß zu machen.

Geradezu absurd mutet die unterschiedliche Entwicklung in den Bereichen Biologie und Technik an. Während im ersten Fall Lebewesen zu einer Vielzahl möglicher Kombinationen ummodelliert werden können, ist die Miliz noch mit einer Art Vorderlader bewaffnet, ziehen altmodische Luftschiffe über den Himmel der Stadt und werden Roboter noch mit Lochkarten gefüttert. Das sich die Geschichte so gut und flüssig liest, ist mit Sicherheit auch auf die Arbeit der Übersetzerin Eva Bauche-Eppers zurückzuführen, die meiner Ansicht nach einen wirklich tolle Job erledigt hat.

Das Ende der Geschichte weiss mich aber nicht wirklich zu überzeugen. Zu konstruiert wirkt die Sache mit der Krisismaschine, welche Isaac quasi erst kurz vorher für eine ganz andere Angelegenheit entwickelt hat. Das sie auf einmal die Lösung für das vorliegende Problem sein soll ist mir des Zufalls zuviel. Zumal die erst kurz zuvor von Mieville aus dem Ärmel geschüttelte Maschinenintelligenz, die ganz plötzlich und absolut unerwartet auf den Plan tritt, ebenfalls zu einem festen und notwendigen Bestandteil von Isaacs Plan wird. Da fügt sich ein Zufall zum anderen. Auch vom Weber hatte ich mir etwas mehr versprochen. Das es dennoch kein Happyend wird, Isaacs Bruch mit Yagharek und Lins schreckliches Schicksal lassen das nicht zu, ist Mieville hoch anzurechnen.

Genremäßig ist das Buch nicht leicht einzuordnen, aber warum sollte man das auch machen wollen. Man muss es ja nicht zwanghaft in eine Schublade stecken. Es ist einfach ein bunter Mix aus Science Fiction, Fantasy, Steampunk und Horror - absolut unkonventionell und phantasievoll. Kein Buch das man gelesen haben muss, aber sicherlich durchaus zu empfehlen.
 


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