Horus
Dude hat geschrieben:Was ich damit sagen will: Die Herausforderung lag für mich weniger im Aufnehmen neuer Fakten, sondern im Angewöhnen von neuen Erzählarten (Sprache und Erzählart als Stilmittel), in einer Vielschichtigkeit, die ich als normaler, vorurteilsbelasteter Leser nicht erwartet hatte.
Was du als ungewohnt empfindest war für mich eine Selbstverständlichkeit. In der "normalen" Literatur ist es ein Standard, dass der Stil, die Erzählstimme genutzt werden, um Personen und Situationen zu charakterisieren, um Atmosphäre zu schaffen, und dass dazu dieser Sprachstil auch innerhalb eines Werkes variiert wird. Der Stil ist Teil der Beschreibung. Wenn ich in geschraubten, leicht betulich verdrehten Sätzen eine Teegesellschaft beschreibe oder das Ambiente des Salons, in dem sie abgehalten wird, brauche ich nicht mehr viele Details anzuführen, die etwas staubige, konventionelle Atmosphäre wird schon allein durch die Wortwahl oder den Lauf der Sätze klar.
Und da für mich auch Fantasy "normale" Literatur ist (siehe meine Bemerkungen dazu auf meinem Blog:
Blogpost), sah ich keinen Grund, das bei Ninragon anders zu halten. Ich bin eher überrascht, dass dies für Leser etwas Neues ist, kann es aber verstehen, wenn ich mir den Status Quo des Durchschnitts der Fantasy anschaue.
Da wird selten konsequent mit dem Variieren der Erzählstimme gearbeitet, und wo das geschieht (zum Beispiel Abercrombie macht das durchgängig und es ist Teil seines Stils) wird es durch eine arschglatte Übersetzung weggebügelt, die im schlimmsten Fall auch noch einen frischen, modernen Ton verquast mit Mittelalterglasur überzieht.
Bei Abercrombie ist es oft weniger deutlich, da seine Helden oft gleich ruppig sind und auch diesen Ton annehmen. Aber zwischen den Kapiteln die aus der Perspektive des Hundmann und z.B. Glokta geschrieben sind, gibt es doch deutliche Unterschiede des Stils. Was ich immer bei Abercrombie als nun ja, Mangel ist ein starkes Wort, aber als fehelend empfunden habe, ist das Ausbleiben ganz anderer Stimmen. Das Spektrum ist ziemlich eng. Wo bleiben die Gebildeten, die auch wie Gebildete denken und wo sich das auch in der Sprache ihrer Perspektive niederschlägt. Wo sind die Schöngeister? Die muss es doch auch in seiner Welt geben. Diese Register gibt es bei mir. Und vielleicht ist man zunächst irritiert, weil man als Fantasy-Leser das gar nicht so sehr gewohnt ist.
Aber stellen wir uns doch einmal vor die Perspektive des Herrn der Ringe würde nahe an seine elbischen Figuren herangehen. Etwa an Elrond oder Galadriel. Wie fremd müsste eine Erzählung aus der Sicht von Galadriel wirken oder gar ein Stream-of-Consciousness aus ihrer Perspektive.
Wenn ich darüber nachdenke: Vielleicht ist es für den Leser überraschend, dass ich Fantasy behandele, als wäre sie ein ganz normaler Teil der Literatur, kein geschütztes Biotop, kein Themenpark, kein "Genre". Hier gelten die ganz normalen Regeln. Das ist für mich eine Form des Respekt vor dem Leser, den ich ernst nehme, und ein Respekt vor meiner Lieblingsliteratur, die ich genauso ernst nehme wie jede andere Form der Literatur. Genauso ernst wie einen Roman von Thomas Mann oder Philip Roth oder Daniel Kehlmann.
Vielleicht ist das die Irritation:
Hey, Leute, wir sind Teil der Literatur, kein Haufen von tumben Eskapisten, und wir sollte genau so ernst genommen werden und wir sollten uns selber genauso ernst nehmen.
Es ist alles Literatur. Und alles Literatur ist Unterhaltung.
Ganz egal, was das Feuilleton dazu sagt.