Julian Gough
Connect: Thriller - deutschsprachige Ausgabe
Buchlisten
»Connect: Thriller - deutschsprachige Ausgabe« von Julian Gough
Es ist ein „Page-turner“, dessen Handlung atemlos von Höhepunkt zu Höhepunkt hetzt, „absolut fesselnd“ (Guardian): „CONNECT“ von Julian Gough. Die Thematik ist anspruchsvoll und transportiert eine zwiespältige politische Agenda.
Der Verlag C.Bertelsmann/Randomhouse zielt mit CONNECT zweifellos auf einen Bestseller und nennt den Science-Fiction-Plot daher lieber „Techno-Thriller“. Denn SF gilt hierzulande immer noch als Nischenliteratur, wenn nicht gleich als Schund -obwohl auch Literatinnen wie Doris Lessing mit ihrem Canopus-Archiv oder Günter Grass mit seiner Rättin SF-Romane vorlegten. Etwas aufgesetzt in die Handlung von CONNECT eingeflochten ist eine Sado-Maso-Lovestory, vielleicht angeregt von Randomhouse, die mit ihrer SM-Schnulze 50 Shades of Grey den größten Milliarden-Bucherfolg der letzten Jahre erzielten.
KI, Drohnenmorde und Transhumanismus
Der in England preisgekrönte Kinder- und Jugendbuchautor Julian Gough (BBC-Award 2007, Buchtitel z.B.: „Rotznase und Schnarchhase“) packt mit CONNECT mehr als nur ein heißes Eisen an: Online-Games, Netzüberwachung, Biowaffenforschung, Drohnenkrieg und militärische KI (Künstliche Intelligenz). Ist der Plot damit hoffnungslos überladen? Nein, denn Gough versteht es zahlreiche Techno-Gadgets wie nebenbei in die 600-Seiten-Story einzuflechten, wobei mit vielen Dialogen und Schockeffekten fast schon das Drehbuch für einen Actionthriller entsteht.
Man könnte CONNECT sogar als Vorgeschichte zur apokalyptischen Terminator-Reihe sehen, die just mit einem weiteren SF-Kinofilm aufwartet. Darin kämpft eine Rest-Menschheit gegen außer Kontrolle geratenen Killerrobotern ums nackte Überleben und man fragt sich: Welcher verrückte Militärdepp hat eigentlich die Killer-KI „Skynet“ in die Autonomie entlassen? Der Roman „CONNECT“ versucht sich unter anderem an einer Antwort auf diese Frage.
Im Fazit könnte man sagen, nimmt Gough Partei für eine Bewegung namens Transhumanismus, deren berühmter Wortführer Ray Kurzweil mit zahlreichen Zitaten aus seinem jüngsten Werk „Menschheit 2.0. Die Singularität naht“ im Roman gewürdigt wird. „Singularität“ meint eine KI, die ein übermenschliches „Bewusstsein“ hat und über quasi gottgleiche Intelligenz und Macht verfügt. Kritik daran hat Gough nicht, das aber auf sehr unterhaltsame Weise.
Aus politischer Sicht könnte man Teile des Buches sogar als Kritik an US-Angriffskriegen in Pakistan, Jemen usw. lesen. Oder auch nicht. Die völker- und menschenrechtswidrigen Drohnenmorde an vermeintlichen islamistischen Terroristen, bei denen massenhafte Morde an unschuldigen Zivilisten in Kauf genommen werden, tauchen am Rande der Handlung auf. Aber eine deutliche Kritik daran bleibt aus, vielmehr verleiht Julian Gough sogar der Täterseite im US-Militär eine mächtige Stimme, um alle Untaten mit der Gefahr durch „Terroristen“ zu rechtfertigen. Diese Rechtfertigung fällt jedoch nicht sehr überzeugend aus, so dass letztlich der Leser mit seiner Voreinstellung den Roman als Kritik oder Bestätigung der US-Drohnenkriege einordnen kann. Das Thema von Gough ist aktuell und von tödlichem Ernst: Gerade laufen z.B. in der UNO heftige ethische und juristische Debatten über autonom tötende Killerroboter-Drohnen, die technisch bereits möglich sind und mit Hochdruck weiter entwickelt werden.
Die Story von Julian Gough: CONNECT
Dennoch kommt bei CONNECT auch der Jugendbuchautor durch, denn Julian Gough erzählt die Story des anfangs 17jährigen autistischen Computergenies Colt (dessen martialischer Vorname bezeugt: seine Eltern neigen nicht zum Pazifismus) und seiner schwer neurotischen Mutter Naomi Chiang. Naomi ist eine geniale Bioforscherin und neigt zu Zwängen, Ängsten und Selbstverletzung, ihre katholischen Eltern flohen, von Kommunisten Chinas verfolgt und gefoltert, in die USA. Der seit Jahren von der Mutter getrennte Vater von Colt, Ryan Livingston, ist bei der NSA, die in naher Zukunft zur NDSA militarisiert wird -zur „National Domestic Security Agency“, offenbar einem allgewaltigen Super-Geheimdienst. Dort ist Ryan als diabolisches Militärgenie neben dem täglichen Tötungs-Handwerk mit einem KI-System befasst und scheint kaum Zeit und Interesse für seinen Sohn Colt und seine Ex-Frau Naomi übrig zu haben.
Julian Gough stellt Colts ruppigen Vater Ryan als genau jenen verrückten Militärtypen dar, dem wir zutrauen können, eine mörderische Killer-KI (wie ‚Skynet‘ aus Terminator) auf die Menschheit los zu lassen. Gough lässt jedoch an NSA-General Ryan Livingston immer wieder auch positive Seiten aufscheinen, die sogar ein Happyend erahnen lassen. Dabei wird stets -und nicht immer allzu subtil- die Ambivalenz der Vater-Sohn-Beziehung heraus gekehrt -wie später auch in der Beziehung der Ex-Eheleute Naomi und Ryan.
//Spoiler-Alarm: Wer sich hier schon entschieden hat, den Roman zu lesen und wirklich alle Wendungen und Schockeffekte dabei genießen will, der sollte den Rest dieser Rezension lieber erst im Anschluss an den Roman lesen. Andererseits wird auch im Folgenden natürlich nicht alles ausgeplaudert, sondern genug für eine spannende Lektüre übrig gelassen.//
Am Anfang des Romans erhält Colt etwa (offenbar wider Erwarten) eine Paketsendung mit Geschenk zu seinem 18.Geburtstag von Vater Ryan, was den autistischen Teenager in ein Wechselbad der Emotionen stürzt, etwa so:
Oh, Daddy hat mich nicht vergessen! Aber: Buh, es ist nur ein billiger Trinkbecher. Doch: Ah, er trägt ein Dr.Who-Bild (aus der SF-Kinder-Serie)! Daddy hat nicht vergessen, dass dies meine Lieblingsserie war! Aber: Buh, der Schriftzug lautet „I love Dr.Who“ mit „love“ als doppeltem (statt wie üblich nur einfachem) Herzsymbol, ist es also ein verbilligtes Mängelexemplar? Aber: Ah! Nein, die Figur Dr.Who hat ja im Film zwei Herzen, es ist also eine kluge Anspielung darauf. Und: Da! Daddy hat die Tasse auch noch unterzeichnet. Aber: Ih, macht man das so, eine Tasse unterzeichnen, wie eine Grußkarte? Doch: Oh! Es ist die Unterschrift des Schauspielers, der Dr.Who verkörperte, die Tasse ist also ein wertvoller Fan-Artikel. So wird Colt in seiner schwer verkorksten Vaterbeziehung durch Höhen und Tiefen gejagt, denn Daddy ruft ihn sogar kurz darauf an.
Aber Geheimdienstboss Ryan hat natürlich Hintergedanken: Er will wissen, was Mutter Naomi vor hat. Will sie etwa ihre medizinische Forschung auf einer Stammzell-Konferenz vorstellen? Ryan möchte ihre Studie lieber zum Staatsgeheimnis erklären, denn sie kann menschliche Organe mit einer futuristischen Methode komplett nachwachsen lassen. Und diesen militärischen Nutzen will natürlich die US-Army allein für ihre eigenen Kriegsversehrten ernten. Colt packt aus und liefert seinem Vater sogar das bislang vertrauliche Vortrags-Papier der Mutter, welches diese ihrem Ex-Gatten bestimmt nicht freiwillig gegeben hätte.
Vom Online-Game zur Nerd-Lovestory
Der zwanghafte, magersüchtige und sozial verstörte Colt erlebt an seinem 18.Geburtstag allerhand. Seine Mutter ist weg, zur Bio-Konferenz, sie weiß nicht, dass Colt dies einfädelte, um sie los zu werden. Naomi lässt ihren unreifen Sohn (er hat noch „kaum je ein Wort mit einem Mädchen gewechselt“) dafür erstmals allein zu Haus, wo prompt seine erste mögliche Liebe auftaucht. Doch dies war nicht der Grund, Mutti weg zu schicken: Colt wollte mit Naomis -noch weit von medizinischer Anwendung entfernter- Bio-Methode sein krankes Hirn heilen.
Die Pizzabotin Sasha, die extra wegen Colt diesen Job annahm, verführt ihn fast, aber ihn packt die Sozialphobie und er schickt sie weg. Dies bereut er sofort und ist nun noch mehr motiviert, sein Hirn in Muttis Biolabor auf riskante Art zu kurieren. Sasha kennt Colt aus einer Gamewelt, die maßgeblich von Colt programmiert wird. Auch Sasha ist ein Computergenie und programmiert („codet“) dort mit. Es ist ein Militärgame, wo Leute aufeinander schießen, allzu viel erfährt man darüber nicht, nur dass es riesig ist, weltweit viele Tausende daran mitcoden und noch viel mehr mitspielen.
Raffiniert hetzt Julian Gough seine Leser durch eine Parallelhandlung: Dieweil Naomi in New York endlich einmal wieder ihren erotischen (Sado-Maso-) Trieben nachgeht, erlebt Colt daheim ein Fiasko mit der schönen jungen Sasha. Dieweil Naomi trotz Sprechangst und Zwangsstörung mit ihrem Vortrag Furore macht, schleicht Colt sich in ihr Labor und murkst mit ihrer Bio-Hightech-Methode an seinem eigenen Hirn herum. Noch während der Stammzell-Konferenz tauchen dort NDSA-Agenten auf, blockieren die Video-Übertragung, löschen Naomis Vortrags-Paper bei allen Teilnehmern und überall im Netz und setzen die Biologin unter Druck, sich dem Militär anzuschließen. Ihre Forschung sei riskant für die nationale Sicherheit.
Aber Naomi lehnt ab und fliegt zurück. Daheim in Nevada findet sie ihren Sohn angeschlagen und irgendwie verändert vor. Sie kriegt schließlich aus ihm heraus, was geschehen ist, und setzt alles in Bewegung, um sein Leben zu retten -wofür sie noch weitere Teile seines Hirns umbauen muss. Dafür lässt sie sich sogar auf die bislang standhaft verweigerte Kooperation mit Ryan ein, um rasch an Militärgeld für neue Geräte zu kommen. Von Gewissensbissen geschüttelt und nahe am Selbstmord meistert das Mutter-Sohn-Gespann die Krise nicht nur binnen 14 Tagen, Colt geht als übermenschliches Wesen daraus hervor, das einen Transhumanisten wie Ray Kurzweil in Frohlocken stürzen würde.
Vom Super-Nerd zum Drohnen-Mörder
Colts erweitertes Hirn codet nun rasend schnell an seinem Online-Game. Er findet nebenher heraus, dass in der Realwelt ein Jahrhundert-Sonnensturm droht. In drei Tagen wird die Sonne tausende Nachrichtensatelliten zerstören oder beschädigen. Colt informiert Ryan, der anfangs misstrauisch, dann hell auf begeistert ist, als das bislang unvorhersagbare Ereignis tatsächlich eintritt. Er holt seinen Sohn in seine geheime Militärbasis, bietet ihm einen Job an und weiht das geniale, aber naive Superhirn Colt in sein mörderisches Metier ein. Colt fühlt sich sehr geschmeichelt, codet binnen ein paar Stunden genial Programme für die NDSA, die zur Identifikation von Terrorverdächtigen dienen. Während Naomi äußerst besorgt ihrem entführten Sohn Colt nacheilt und in die Basis eindringt, erlebt ihr Sohn eine Art brutales Initiationsritual: Ohne es zu wissen ermordet Colt unter väterlicher Anleitung terrorverdächtige Menschen per Fernsteuerung. Es beginnt mit zynischen Witzen und endet mit einer Rakete auf ein ziviles Auto, möglicherweise den Pickup eines Islamisten, Zitat:
Warum will er uns töten?‘, fragt Colt wieder.
Ryan grinst. ‚Weil wir da sind.‘
‚Warum sind wir da?‘, fragt Colt.
‚Weil er uns töten will.‘ Sie lachen beide.
Colt kann es kaum glauben, dass er seinen Dad zum Lachen gebracht hat, absichtlich. Ihm wird beinahe schwindlig… ‚Hmmm… ich autorisiere den Abschuss‘, sagt Ryan. ‚Willst du feuern?‘
‚Oh, cool.‘… Colt feuert. Der Pick-up explodiert. Die Beobachtungsdrohne geht tiefer. Filmt den Nachklapp. Sie betrachtet das brennende Wrack. Irgendetwas Sekundäres explodiert, vielleicht eine Panzerfaust, eine Tür fliegt weg… ‚Es fehlt der Sound‘, sagt Colt. Ryan rutscht in seinem Stuhl hin und her. Sagt nichts. Colt beugt sich vor… ‚Es sieht nicht real genug aus. Man sieht ja keine Leichen… Das ist ein Simulator, oder, für die Ausbildung?‘, sagt Colt. Ja, ein sehr guter Simulator, sagt er sich. ‚Im Grunde ist es also ein Game. Und realistische Gamewelten, die sind meine Spezialität.‘ ...Irgendetwas stimmt mit dem Gesicht seines Vaters nicht. ‚Im Ernst, Dad. Der Game-Teil könnte besser sein.‘ Pause. ‚Ja‘, sagt Ryan. ‚Man könnte es wohl als Game bezeichnen.‘ Colt fühlt sich nicht gut. Sein Magen rumort. Vielleicht zu viele Cupcakes. CONNECT S.317f.
Auch im Magen des Lesers könnte es hier rumoren, wird doch etwas gezeigt, was weder im Einklang mit Menschenrechten noch mit einer mitfühlenden Ethik stehen kann. Eigentlich der Missbrauch eines psychisch kranken Genies, das auf perverse Weise zu einem Kindersoldaten gemacht wird. Julian Gough holpert mit einer Action-reichen Handlung jedoch schnell über diesen Moment hinweg und an Ethik weniger interessierte Thriller-Konsumenten dürften die zarte Andeutung von politischer Kritik daher mühelos überlesen.
Im Roman entgleitet Ryan anschließend die Situation, als Naomi und Colt in seinem Büro aufeinander treffen. Sie wollen nicht für sein Militärprojekt arbeiten, das eine irrsinnige KI als Steuerung aller Killerdrohnen umfasst und wie ein „Immunsystem“ funktioniert. Der gesunde Körper sind dabei die USA, die abzuwehrende Seuche ist der Terrorismus, Islamismus usw.
Naomi und Colt entdecken auch plötzlich ein persönliches Motiv Ryans, die medizinische Forschung seiner Ex-Frau zu okkupieren: Er hat keinen Unterleib mehr, denn die Taliban haben ihm in Pakistan Beine und Geschlechtsteile weg gebombt, auch letztere könnte Naomi wieder nachwachsen lassen. Gewaltsam überwältigen Mutter und Sohn ihren Patriarchen, den kastrierten NSA-Agentenboss, und fliehen aus seiner Basis. Ryan startet wutentbrannt und eigenmächtig seine Killer-KI, um sie hinter seiner Ex und seinem Sohn her zuhetzen. Er will sie töten lassen.
Die US-Politik wollte ihn, und hier schreibt Julian Gough leider wirklich eine Utopie, offenbar in einer unwahrscheinlichen Anwandlung von Vernunft schon stoppen und das Projekt auf Eis legen.
Mit der Flucht von Mutter und Sohn vor dem kriegsversehrten und wahnsinnigen, aber womöglich irgendwie doch liebenswerten und nur um die Nationale Sicherheit besorgten Vater kommt der SF-Thriller eigentlich erst richtig in Fahrt. Es kommt über die restlichen 300 Seiten zu einer wilden Jagd. Gibt es ein Happyend für beinahe alle Beteiligten? Die Liebe, soviel sei verraten, ist und bleibt für Julian Gough die gewaltigste Himmelsmacht.
Dies ist eine gekürzte Version, meine Rezension erschien zuerst hier
http://www.scharf-links.de/45.0.html?&tx_ttnews[swords]=connect&tx_ttnews[tt_news]=71431&tx_ttnews[backPid]=65&cHash=42b41f0a0a