Sergej Lukianenko
Weltengänger
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»Weltengänger« von Sergej Lukianenko
Kirill kommt wie jeden Abend nach Hause in seine Wohnung. Allerdings wohnt dort plötzlich eine fremde Frau, die behauptet schon seit drei Jahren dort zu leben. Sein Hund erkennt ihn nicht mehr, sein Arbeitgeber hat noch nie von ihm gehört, seine Eltern erinnern sich nicht daran einen Sohn zu haben und all seine Papiere beginnen, sich aufzulösen. Kirills Existenz scheint wie ausgelöscht.
Im Moment größter Verzweiflung erhält er einen Anruf mit einer Wegbeschreibung. Weil er nichts zu verlieren hat, folgt er ihr, und sieht sich schon bald seinem neuen zu Hause gegenüber – einem Turm. In dessen Inneren finden sich fünf Türen und fünf Fenster. Eine jede Tür führt in eine andere Welt, hinaus aus Moskau, weg von der Erde wie Kirill sie kennt. Er ist jetzt ein Funktional, Herr und Meister des Turms, ein Zöllner zwischen den Welten. Doch schon bald kommen Fragen auf. Warum ist Kirill zu einem Funktional geworden, warum nicht sein Freund Kotja? Wie wird man ausgewählt, unter welchen Bedingungen werden einem die Privilegien der Funktionale zuteil und allem voran – wer steuert all das und zu welchem Zweck?
Leseeindrücke:
Lukianenko hat einen sehr eigenen Erzählstil, der jedoch sehr angenehm zu lesen ist. Die Ich-Perspektive fordert meist große Geduld vom Leser, doch Lukianenko schafft es, Kirill eine Stimme zu geben die den Leser genau da abholt, wo auch der Hauptcharakter steht: in absoluter Ahnungslosigkeit. Kirill verfügt über dieselben limitierten Informationen wie der Leser. Seine neu gewonnenen übernatürlichen Fähigkeiten versetzen ihn in Erstaunen und seine Entwicklung passiert ihm eher, als dass er zu ihr beiträgt. Nach und nach emanzipiert er sich ein wenig, doch es bleibt immer gleich leicht, der Erzählung zu folgen ohne dass die Ich-Perspektive irritierend wird.
Was an Lukianenkos Protagonisten besonders ansprechend ist, ist sein Pragmatismus. Er sieht Unrecht, aber er stürmt nicht mit gezogener Waffe los es aufzuhalten, denn ihm ist klar dass es am Ende vermutlich nur zu einer Machtverschiebung käme, und letztendlich nur eine andere Gruppe das Unrecht ausüben würde. Die zugrunde liegenden Ideen von Moral und Gerechtigkeit sind wenig schön gefärbt und naive Vorstellungen ungestümer Freiheitskämpfer werden entlarvt ohne dabei belehrend zu sein. Kirill will etwas tun, aber das Wissen darum dass Macht und Korruption immer Hand in Hand gehen, prägt seine Handlungen und lässt ihn wesentlich zögerlicher agieren, als man es von einem Helden einer solchen Erzählung erwarten würde. Allein dadurch erhält das Buch eine sehr andere, sehr interessante Dynamik.
Die geschaffenen Parallelwelten und die deren Existenz zu Grunde liegende Motivation der Initiatoren des ganzen Konstruktes sind glaubhaft erzählt, hätten aber durchaus noch mehr Platz einnehmen dürfen. Es ist davon auszugehen dass das in den Folgebänden der Fall ist.
Fazit:
Lukianenko entwirft ein faszinierendes Szenario und hat mit Kirill Maximov einen Hauptcharakter erdacht, dessen Entwicklung spannend mit anzusehen sein dürfte. Der erste Band der Reihe stellt die Weichen für ein vielversprechendes Lesevergnügen. Bei aller Ernsthaftigkeit der zu Grunde liegenden Thematiken kommen weder die russische Seele noch der Humor zu kurz. An vielen Stellen gehen beide Hand in Hand. Zum großen Teil ist es dieser eben nicht ganz westliche Stil, die Lukianenkos Bücher so attraktiv macht.